Die Probleme der Shoppingcenter reichen weit über Corona hinaus

Die Probleme der Shoppingcenter reichen weit über Corona hinaus

WirtschaftsWoche
11.12.2021
von Hielscher, Henryk
Verschärfte Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie verderben Einzelhändlern das Weihnachtsgeschäft. Die Betreiber von Einkaufszentren trifft das hart – sie stehen ohnehin unter enormem Druck.

 

Tetiana Herberger blickt zufrieden auf ihr Reich: Das Eiscafé Gondola ist gut gefüllt. Auch im Schuhladen gegenüber herrscht reger Betrieb, ebenso im Modegeschäft nebenan. Für einen Dienstag- mittag ist ordentlich was los im Fürther „Flair“, dem neuesten Shoppingcenter Deutschlands. „In den Eröffnungswochen lief es ausgezeichnet“, sagt Centermanagerin Herberger. Die Kunden „waren sofort Feuer und Flamme“ für die neue Einkaufsmall in der Innenstadt. Kein Ärger über die Coronaauflagen? Kein Jammern über das schleppende Weihnachtsgeschäft? Das gibt es momentan selten im pandemiegeplagten Einzelhandel. (Wie Lieferprobleme und 2G für viele Händler zum perfekten Sturm werden, lesen Sie hier.)

Gerade erst hat die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof einen zweiten Staatskredit in dreistelliger Millionen- höhe beantragt, um sich in der vierten Coronawelle über Wasser zu halten. Die hohen Infektionszahlen, die 2G-Pflicht im Einzelhandel, die Absage von Weihnachtsmärkten und verkaufsoffenen Sonntagen hätten zu einem massiven Einbruch der Besucherzahlen in den Innenstädten geführt. „Das kommt einem Quasilockdown mitten im Weihnachtsgeschäft gleich“, wettert Galeria- Finanzvorstand Guido Mager. Auch der Branchenverband HDE klagt, die neuen Einschränkungen ließen den Umsatz im Filialgeschäft einbrechen.

Schwache Umsätze in den Filialen tref- fen auch die Centerbetreiber. Tatsächlich kämpft die Branche nicht erst seit Corona mit reichlich Gegenwind. Die Boomzeiten, als die Mieteinnahmen sprudelten und die Nachfrage nach Ladenfläche keine Grenzen zu kennen schien, „sind jedenfalls lange vorbei“, konstatiert Immobilienexpertin Kristina Pors vom EHI Retail Institute in Köln. Schon seit Jahren lässt das Neubau- tempo nach. Inzwischen stagniert der Markt. Nur eine einzige Neueröffnung gab es 2021: das Flair in Fürth.

Dort strahlen Lichterketten von der Decke, überall glänzt und glitzert es. Ganz so, wie Michael Peter, Gründer des Immobilienunternehmens P&P Group, es geplant hat. Rund 60 Millionen Euro hat er investiert, um einen Shoppingklotz aus den Achtzigern abzureißen und etwas Neues zu schaffen. Sein Ziel: „Wow-Shopping“ statt der üblichen Aneinanderreihung der immer gleichen Filialisten. Die Filialen von dm bis H&M finden sich auch in Fürth, aber eingebettet in einen Mix von allerlei Attraktionen, Erholungs- und Entertainmentflächen.

Stolz präsentiert Peters Projektentwickler Marcus Gergele vor Ort ein tonnen- schweres Wasserbassin, in dem sich Dutzende bunte Fische tummeln. Es sei „das größte freistehende Blockaquarium Europas“, schwärmt er. Am Haupteingang gibt es für Kinder einen LED-Fußboden mit virtuellem Flusslauf und weiter hinten eine Wendelrutsche ins Untergeschoss. Dazu ein Fitness-Parcours und eine „Hologate“ getaufte virtuelle Erlebniswelt. Die soll auf 1300 Quadratmeter unter anderem Escape Rooms und Gamingevents bieten, bleibt wegen Corona momentan aber geschlossen. Dafür zieht ein improvisiertes Impfzentrum zusätzliches Publikum.

Die Branche verfolgt das Fürther Experiment mit Neugier und Skepsis. Zu vage sind vielen Immobilieninvestoren derzeit die Aussichten eines Handelsformats, das unter dem Siegeszug des E- Commerce leidet. Zu hart treffen die Coronaeinschränkungen die Center und ihre Mieter.

Schon in den ersten drei Wellen der Pandemie sind die Besucherzahlen ein- gebrochen. Auch im Sommer, als die Infektionsrate deutlich unter dem aktuellen Niveau lag, strömten weniger Kun- den als vor Corona in die rund 500 deutschen Einkaufsmalls.

Bändchen wie im Clubhotel
Laut Wilhelm Wellner, Vorstandssprecher der Deutschen Euroshop (DES), lagen die Kundenfrequenzen in seinen 21 Centern zuletzt „bei gut 75 Prozent des Vor-Corona-Niveaus“, die Umsätze bei 90 Prozent. Der Dezember sollte für Auftrieb sorgen, doch daraus wird nichts. Angesichts der 2G-Auflagen werden Besucherzahlen und Umsätze „mitten im so wichtigen Weihnachtsgeschäft sicher fallen“, erwartet Wellner. Der Zugang zu den Centern selbst wird in der Regel nicht beschränkt, weil sich in ihnen oft Geschäfte der Grundversorgung wie Supermärkte und Apotheken befinden, für die die 2G-Bestimmungen nicht gelten. In allen anderen Läden muss aber kontrolliert werden. Um den Aufwand im Rahmen zu halten, sollen Kunden möglichst an einer zentralen Stelle im Center nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Anschließend erhalten sie ein „Armband ähnlich wie in einem Clubhotel“ und dürfen fortan ungestört alle Geschäfte betreten, so Wellner.

Ähnliches plant der Hamburger Immobilienentwickler ECE, mit rund 200 Centern europaweiter Marktführer. Trotzdem befürchten die Hanseaten „erhebliche negative Auswirkungen auf die Händler“ – und damit letztlich auf das eigene Geschäft. Um Läden zu stützen, musste ECE seit Beginn der Krise bereits auf gut 150 Millionen Euro Miete verzichten. Dazu kommen weitere Einbußen, etwa weil umsatzabhängige Mieten sinken oder durch Pleiten von Handelsketten.

Noch gelingt es den großen Betreibern zwar, die Lücken zu schließen. Im DES- Portfolio sei der Leerstand von rund zwei auf fünf Prozent gestiegen, teilt das Unternehmen mit. ECE beziffert die Vermietungsquote mit rund 96 Prozent.

In Randgebieten fern der Innenstädte ist die Nachfrage allerdings weit weniger robust. „Viele Center kämpfen mit wachsendem Leerstand“, sagt Expertin Pors. Über kurz oder lang dürften auch die Mieten sinken. Schließlich bestellen immer mehr Konsumenten lieber online, als weite Wege zu standardisierten Einkaufspassagen in Kauf zu nehmen. „Shoppingcenter, wie es sie bisher in vielen Städten gibt, haben keine Zukunft“, ist daher auch der Fürther Investor Peters überzeugt. Sie seien „zu verwechsel- und austauschbar“. Immerhin, die Branchengrößen scheinen erkannt zu haben, wie gefährlich Shopping-Tristesse auf Dauer ist, und buhlen um neue Mieter. Von Hotels und Wohnungen, Ärztezentren und Enter- tainment-Anbietern ist bei ECE die Rede. Auch Wettbewerber Unibail- Rodamco-Westfield, der in Deutsch- land 22 Center managt, setzt auf „mixed-use-Konzepte“. „Der Einzelhandel wird immer eine starke Komponente bleiben“, sagt Deutschlandchef Andreas Hohlmann, könne künftig aber mit mehr Gastronomie, Freizeit-, Kultur- und Unterhaltungsangeboten kombiniert werden. So soll auf dem Areal des Centro Oberhausen, dem Flagg- schiff der Gruppe in Deutschland, im kommenden Jahr ein „Karls Erlebnis- Dorf“ entstehen – ein Outdoor-Freizeit- park auf rund 70 000 Quadratmetern rund um das Thema Erdbeeren.

Im Grunde ist es eine ähnliche Strategie wie in Fürth: Event- und Unterhaltungselemente als Booster gegen den Corona- blues.

Mehr zum Thema: Das Weihnachtsgeschäft ist die letzte Hoffnung vieler Einzelhändler. Doch nun kämpft die Branche mit Lieferengpässen und neuen Corona-Einschränkungen. Für viele Innenstadtgeschäfte wird es eng.

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