
18 Mrz Neues Leben für die Innenstadt
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Immobilien
18.03.2022
Neues Leben für die Innenstadt
Durch die Folgen des Onlinehandels und der Corona-Pandemie ist der innerstädtische Einzelhandel in die Krise geraten. Doch weil die Mieten sinken, erhalten nun auch kleinere und buntere Anbieter die Chance, sich in der Innenstadt zu positionieren. Das könnte auf lange Sicht zur Wiederbelebung der Innenstadt führen – vorausgesetzt, die Vermieter spielen mit.
Von Christian Hunziker, Berlin
Wer in Düsseldorf ein Fahrrad kaufen will, muss deswegen nicht in ein Fachmarktzentrum auf der grünen Wiese fahren. Er kann sich auch zum ehemaligen Kaufhof am Wehrhahn begeben und findet dort, nicht weit von der Altstadt entfernt, ein riesiges Zweirad-Center. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass in der Innenstadt plötzlich Anbieter auftauchen, die man dort noch vor wenigen Jahren vergeblich gesucht hätte. In der Hohen Straße in Köln etwa, in bester Einkaufslage also, bietet seit vergangenem Herbst ein dauerhafter Pop-up- Store Start-ups und lokalen Marken die Möglichkeit, ihre Produkte anzubieten. Und in Berlin will das junge Unternehmen Bikebarn, das Elektrofahrräder und Lastenräder ausleiht, in diesem Jahr gleich 13 Läden in zentralen Lagen eröffnen.
Für Olaf Petersen zeigen diese Bei- spiele eine positive Tendenz auf. Die noch vor wenigen Jahren viel beschworene Gefahr zunehmender Filialisierung und wachsender Uniformität der Innenstadt sei gebannt, sagt der Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Comfort, die auf die Vermittlung von Einzelhandelsflächen in guten Lagen spezialisiert ist. „Die Innenstädte“, betont auch Jürgen Kreutz, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft IPH Handelsimmobilien, „werden durchmischter und vielfältiger und dadurch für den Konsumenten wieder spannend:“
Die Einschätzung dieser Fachleute widerspricht der weit verbreiteten These, wonach die Innenstadt durch die Folgen des Onlinehandels und der Corona-Pandemie in eine schwere Krise geraten ist. Gerade erst hat der Handels- verband Deutschland beklagt, die Auswirkungen der Pandemie zögen eine „tiefe Schleifspur durch die Innenstädte im ganzen Land“. Auch das Frühjahrs- gutachten Immobilienwirtschaft 2022 des Rates der Immobilienweisen konsta- tiert einen erheblichen Rückgang der Frequenz in den Innenstädten, eine wachsende Zahl leerstehender Läden und ein deutliches Minus bei den Einzelhandelsmieten insbesondere in den Innenstädten der Metropolen.
Doch genau in dieser Krise – die Floskel lässt sich in diesem Fall kaum vermeiden – liegt auch eine Chance. Von einer „Chance für Nutzungen, die wegen ihrer nicht so hohen Finanzkraft bisher nicht zum Zug gekommen sind“, spricht Carolin Wandzik von der Gesellschaft für Ortsentwicklung und Stadterneuerung (GOS), die für das Frühjahrsgut- achten das Kapitel über die Innenstadtentwicklung verantwortet hat. Auch Einzelhandelsfachmann Petersen beobachtet, dass „neue Nutzergruppen die Chance bekommen, sich Flächen in den Top-Lagen der Innenstädte zu sichern“. Das liegt nach seinen Worten nicht nur an den gesunkenen Mieten, sondern auch daran, dass insbesondere Modeanbieter bereits seit längerer Zeit weniger Ladenfläche beanspruchen als früher. Konkret beobachtet Petersen, dass die Nahversorgung in Gestalt von Lebensmittelhändlern und Drogeriemärkten in die Innenstadt zurückkehrt. Neben Fahrradhändlern zieht es nach seinen Worten auch Süßwaren- und Einrichtungskonzepte vermehrt in die Innenstadt. Sogar Ikea siedelt sich mit kleineren Studios in Innenstädten und Shopping- Centern an, wie IPH-Fachmann Kreutz ergänzt. Und nicht zuletzt sucht auch die Gastronomie gut gelegene Flächen.
Darüber hinaus finden sich in zentral gelegenen Einkaufsstraßen immer mehr Markenhersteller wie der Haushaltsgeräteproduzent Miele, der Lautsprecherspezialist Teufel und diverse Elektroautoanbieter. Cupra beispielsweise, ein Toch- terunternehmen des spanischen Autobauers Seat, betreibt über Vertragspart- ner sogenannte City-Garagen, die sich teilweise – besonders deutlich in München am Odeonsplatz – in exklusiver Lage befinden. Dabei handle es sich nicht um klassische Showrooms, sondern um „Orte, um die Marke erlebbar zu machen“, sagt Erik Händler, Leiter der Händlerorganisation von Seat Deutschland. „Die zentrale urbane Lage“, betont er, „sagt auch etwas über die Vision der Marke aus.“ Zudem trage sie dazu bei, Menschen in die Stores zu locken, die nicht zur klassischen Klien- tel eines Autohauses gehörten.
Auf zusätzliche Angebote setzt auch die P&P Group, die im Herbst 2021 in Fürth das Center Flair eröffnet hat. Dieses versteht sich nicht als klassisches Shopping-Center, sondern als „urbanes Erlebnis-Center“. Kostenlose Angebote wie ein Fitness-Parcours, ein Aquarium und eine über zwei Stockwerke verlaufende Rutsche finden sich darin genau so wie eine Virtual-Reality-Erlebniswelt namens Hologate World. Ebenfalls eher ungewöhnlich sind sieben Pop-up-Stores, die auch an lokale Händler wie etwa einen veganen Metzger oder einen Skateboard-Laden vermietet werden. „Der Handel ist nicht tot“, ist Michael Peter, Gründer und CEO der P&P Group, überzeugt. „Er muss nur anders und weiter gedacht werden.“ Denn der Kunde wolle nicht mehr überall die gleichen Läden, sondern „ein Unikat“.
Das bedeutet auch, dass Einzelhandel allein die Innenstadt nicht retten wird. Jetzt böten sich „Entwicklungschancen für Nutzungen wie Wohnen, Kultur, Gemeinwesen, die aufgrund der starken Preisdynamik in den vergangenen Jahren aus den Kernbereichen verdrängt wurden“, hält das Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen fest. Auch Rackham Schröder, Geschäftsführer von Engel & Völkers Commercial Berlin, plädiert mit Blick auf nicht ganz so prominente Stadtteillagen für eine Nutzungsmischung. „Ziel sollte es sein, in den Quartieren das Konzept der 15- Minuten-Stadt zu verwirklichen“, sagt der Immobilienmakler. Dafür braucht es nach seinen Worten eine Kombination unterschiedlicher Nutzungen: Wohnort- nahe Büroflächen gehören ebenso dazu wie eine vielfältige Nahversorgung mit Schneider, Friseur, Lebensmittel- und Feinkosthändlern, Kindertagesstätten und Cafés. Auch Mikrologistik hat in diesem Konzept Platz, wobei Schröder nicht so sehr an Depots von Lebensmittel-Bringdiensten denkt als an Paketstationen und Auflademöglichkeiten für Elektrofahrräder.
Doch sind Vermieter bereit, sich auf solche Konzepte einzulassen? Vermieten sie also im Zweifelsfall lieber an den lokalen Käsehändler, auch wenn eine Spielhalle eine deutlich höhere Miete bezahlen würde? „Bei den Immobilieneigentümern wächst die Einsicht, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen“, antwortet Schröder. Eine von Engel & Völkers Commercial durchgeführte, nicht repräsentative Blitzumfrage hat ergeben, dass 43 Prozent der teilnehmenden Berliner Eigentümer bereit sind, an gemeinwohlorientierte Nutzer zu vermieten. Allerdings sind nur 30 Prozent offen dafür, auf Miete zu verzichten.
Die Bereitschaft der Vermieter, bei der Miethöhe Zugeständnisse zu machen, sei „unterschiedlich ausgeprägt“, stellt auch Jürgen Kreutz von der Beratungsgesellschaft IPH fest. Er weist darauf hin, dass Fondsgesellschaften dabei vor dem Problem stehen, dass eine Senkung der Miete zu einer Abwertung des Fondsvermögens führt. Langfristig orientierte Eigentümer wie Family Offices, also Vermögensverwaltungen reicher Familien, seien hingegen eher zu einer Mietreduktion bereit, „um damit die Immobilie und die Lage langfristig gut aufzustellen“. Genau das sei der richtige Ansatz, findet auch Rackham Schröder von Engel & Völkers: „Langfristig kann es sich für Eigentümer lohnen, bei der Miethöhe Kompromisse einzugehen. Denn wenn ein Quartier an Qualität gewinnt, lassen sich wieder höhere Mieten durchsetzen.“
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