Von der Nische zum Trend? Welche Rolle Inklusion im Immobilienmarkt in den nächsten Jahren spielen könnte

Von der Nische zum Trend? Welche Rolle Inklusion im Immobilienmarkt in den nächsten Jahren spielen könnte

03.12.2021,

Handelsblatt Inside – REAL ESTATE

 

Von der Nische zum Trend? Welche Rolle Inklusion im Immobilienmarkt in den nächsten Jahren spielen könnte

 

Von: Christoph Scherbaum

Noch sind Bauvorhaben mit gezieltem Inklusionsanspruch die Ausnahme. Die wachsende Rolle von ESG dürfte das Thema aber wichtiger machen.

 

Am Freitag wird der internationale „Purple Light Up Day“ begangen. Der Tag soll weltweit die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderungen in den Fokus rücken und ein Zeichen für Inklusion setzen. Symbolisch wird dabei die Farbe Lila für unterschiedliche Aktionen verwendet. Auch so mancher Immobilienmanager dürfte sich dabei angesprochen fühlen. Denn das Thema bewegt inzwischen immer stärker auch die Branche – nicht zuletzt, da viele Investoren ESG-Kriterien bei ihren Entscheidungen stärker in den Fokus nehmen.

 

So hat sich Siemens Real Estate (SRE) klare Ziele gesetzt. Das Unternehmen ist für das weltweite Immobilienportfolio des DAX-Konzerns und damit für rund 1.500 Büro- und Produktionsstandorte in 180 Ländern zuständig. Sowohl im Neubau als auch in bestehenden Gebäuden strebt SRE an, seine Immobilien barrierefrei zu gestalten – und dabei teilweise über das gesetzlich geforderte Maß hinauszugehen.

Neubauten werden zum Beispiel standardmäßig mit Vorrüstungen für automatische Türöffnungen, geeigneten Aufzügen, barrierefreien Toilettenräumen und taktilen Elementen für Menschen mit Sehbehinderungen ausgerüstet. Bei Neubauprojekten bindet SRE zudem die Schwerbehindertenvertretungen ein und erfüllt die gesetzlichen Vorgaben.

 

Im Bestand sind nach Angaben des Unternehmens in den vergangenen zwei Geschäftsjahren allein in Deutschland mehr als fünf Millionen Euro für die Barrierefreiheit investiert worden. Aktuell verfügten von 220 Liegenschaften in Deutschland bereits rund 80 Prozent über behindertengerechte Parkplätze, 72 Prozent über barrierefreie Zugänge und knapp 60 Prozent über geeignete Toiletten für Menschen mit Behinderung.

 

Inklusion am Arbeitsplatz beginne mit der Barrierefreiheit. „Insofern spielt das Immobilienmanagement eine entscheidende Rolle“, sagt Marina Zdravkovic, Vorsitzende der Gesamtschwerbehindertenvertretung bei Siemens.

Allerdings stelle „die gebaute Umwelt Menschen mit Behinderungen regelmäßig vor teils unüberwindbare Herausforderungen – nicht zuletzt auch am Arbeitsplatz“, ergänzt Zsolt Sluitner, CEO bei Siemens Real Estate. „Die Maßnahmen, die wir unter dem Aspekt Barrierefreiheit umsetzen, machen unsere Gebäude im Endeffekt für alle besser: Sie erleichtern die Orientierung, reduzieren das Risiko von Unfällen und machen uns allen den Aufenthalt und das Arbeiten angenehmer und leichter.“

 

Doch was bei einem Industrieunternehmen zum Alltagsgeschäft gehört, scheint in der Immobilienwirtschaft bisher noch nicht überall angenommen worden zu sein. „Bauvorhaben mit gezieltem Inklusionsanspruch sind bislang eher noch eine Ausnahme“, sagt Martin Venjakob, Leiter der Region Köln/Bonn bei Bonava, einem Projektentwickler für Wohnimmobilien: „Dabei ist die Nachfrage unglaublich.“ Einige der Käufer hätten jahrelang auf Inklusionsprojekte gewartet und mit dem Vertriebsstart sofort reserviert. „Die Begeisterung für die Inklusionsidee, die Gemeinschaft und die Nachbarschaftshilfe springt sofort über.“

 

Inklusion im Immobilienbereich bedeutet für Venjakob, dass ein „Zuhause viel mehr ist als nur die eigenen vier Wände“. Das gesamte Wohnumfeld gehöre dazu und auch der Austausch mit den Nachbarn. „Ob wir uns vor der eigenen Haustür wohlfühlen und in Kontakt mit unseren Nachbarn kommen, lässt sich durch Architektur und Freiraumplanung sehr stark beeinflussen.“

So müsse bei der Planung von Projekten zum Beispiel die Frage geklärt werden, wie geschützte und offene Bereiche in den Außenanlagen integriert würden, „sodass sich die Bewohner dort gern aufhalten“. „Die einfachste Möglichkeit, einen Austausch zwischen den Nachbarn zu fördern, ist zudem die Sharing-Idee. In einer nachhaltigen Gemeinschaft muss nicht jeder alles besitzen.“

 

Für Christian Möhrke, verantwortlich für das operative Geschäft bei der Cureus, einem Bestandshalter von Pflegeimmobilien, ist Inklusion ebenfalls nicht nur eine Frage der baulichen Barrierefreiheit. Er verweist auch auf den sozialen Aspekt – gerade im Bereich der Pflegeheime.

Hier gehe es auch darum, wie den Bewohnern ein gutes zwischenmenschliches Umfeld geboten werden könne. „Das beinhaltet Gemeinschaftsflächen, aber auch den Zugang zum sozialen Leben außerhalb der Residenz.“ Inklusion bei Pflegeheimen bedeute zudem, sie für die Öffentlichkeit ein Stück weit zugänglich zu machen.

 

Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) hat bereits 2016 die Initiative „WohnenPlus“ ins Leben gerufen. WohnenPlus ist laut ZIA ein Gesamtkonzept, das durch möglichst barrierearme Wohnungen, die Kombination von technischen Hilfen und durch Unterstützung innerhalb des Quartiers den Grad an Selbstbestimmung bis ins hohe Alter hinein deutlich erhöhen und dadurch den Nachfragedruck nach Pflegeheimplätzen mildern soll.

In dem in diesem Sommer aktualisierten Positionspapier heißt es: „Die im ZIA organisierte Immobilienwirtschaft strebt an, in den nächsten zehn bis 15 Jahren zehn Prozent ihres Wohnungsbestandes barrierearm auszubauen.“

 

Laut John Bothe, Geschäftsführer der Silberlake Real Estate Group, ist das Thema Barrierefreiheit zumindest in deutschen Neubauimmobilien längst zum Standard geworden. „Ohne durchgangsbreite Türen mit mindestens 90 Zentimetern und ebenerdige Zimmerzugänge lassen sich heutzutage keine Mehrfamilienhäuser mehr errichten – dies sieht allein das Baurecht in allen deutschen Bundesländern vor“, sagt Bothe.

Das bedeute aber nicht, dass alle Wohnungen rollstuhlgerecht seien. „Hierbei sieht das Gesetz eine Quotenregelung vor.“ Mindestens eine rollstuhlgängige Wohnung pro Mehrfamilienhaus muss errichtet werden. „Viele Entwickler realisieren ihre Immobilien durch den Einbau von Aufzügen bereits weitgehend rollstuhlgerecht.“

 

Letztlich würden solche Maßnahmen zum Werterhalt der Immobilie beitragen und die Vermietbarkeit steigern, betont Bothe. „Die Rollstuhlgerechtigkeit beziehungsweise Barrierefreiheit ist auch für junge Familien wichtig, denn der Kinderwagen verhält sich wenig anders als der Rollstuhl. Das steigert den Wohnkomfort aller Bewohner.“

Michael Peter, Gründer des Immobilienentwicklers P&P Gruppe, geht noch einen Schritt weiter. „Inklusion im Immobilienbereich beginnt beim Bau barrierefreier Wohnungen, sollte aber immer ganzheitlich gedacht werden. Auch ganze Quartiersentwicklungen sollten bewusst auf das Thema ausgerichtet und bereits in der Frühphase der Planung mit ganzheitlichen Konzepten für die inklusive Nutzung dieser Quartiere ausgestattet werden.“

Für Peter ist die Inklusion Bestandteil der sozialen Verantwortung von Immobilienunternehmen. „Die steigende Nachfrage nach ESG-konformen Produkten zeigt, dass auch dieser Teilaspekt der sozialen Verantwortung nachhaltig an Bedeutung gewinnt, auch wenn hier aktuell noch häufig Umwelt- beziehungsweise energetische Themen im Vordergrund stehen.“

 

Inklusives Bauen sei zwar sicherlich noch kein Marktstandard, aber eben auch keine reine Ausnahmeerscheinung mehr. Je mehr sich die ESG-Kriterien etablierten, „desto mehr wird sich der Fokus unter anderem auch auf soziale Aspekte verlagern und damit werden Themen wie Inklusion an Bedeutung gewinnen”.

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